Deutscher Sportclub
für Fußballstatistiken e.V.

Harald Pistorius im Exklusiv-Interview

Vor zwei Monaten hat unser Mitglied Harald Pistorius ein Buch zum 125. Geburtstag des VfL Osnabrück veröffentlicht. Das Homepage-Team des DSFS hat mit ihm ein exklusives Interview geführt.

Hallo Harald, hast du erstmals eine Chronik zum VfL veröffentlicht?
Es ist das dritte Buch über den VfL, an dem ich beteiligt war. Ende 2000 erschien „Wir sind alle ein Stück Osnabrück“, 2009 kam „Lila-Weiße Klassiker – die größten Spiele des VfL“ heraus.

Wer kam auf die Idee dieser Chronik zum 125. Geburtstag? Du selbst oder der Verein?
Das geschah im Gleichklang. Der VfL fragte in Person von Geschäftsführer Michael Welling an, nach einem Gespräch mit ihm und Sebastian Rüther, Leiter der Abteilung Medien und Kommunikation, habe ich ein Konzept entwickelt. Es ging von 400 Seiten aus. Das Konzept ist nahezu komplett umgesetzt worden. Nur der Umfang wurde nicht eingehalten, es wurden 550 Seiten. Und ganz wichtig: Es gab zu keiner Zeit und in keiner Form auch nur den Versuch einer Einflussnahme des VfL auf Inhalt und Gestaltung. Die Geschichte des Vereins wurde in neun Epochen gegliedert, zu jeder wurde ein ausführliches Kapitel verfasst, in dem die Entwicklung des Vereins geschildert wird – unter Berücksichtigung der Veränderungen im Fußball in jener Zeit und auch der gesellschaftlichen Bedingungen. Wer führte den Verein in welchem Stil, unter welchen Bedingungen (Finanzen, Stadien) wurde gespielt, wie veränderte sich das Publikum, wo stand der Verein in der Stadt, wie und welche Medien berichteten?
Ab 1945 folgen auf das jeweilige Epochenkapitel Texte zu jeder Saison; dabei liegt der Schwerpunkt auf der sportlichen Entwicklung, Trainer und die wichtigsten Spieler werden beschrieben und bewertet, erinnert wird an die wichtigsten Spiele, an Zwischenfälle, Skandale und Kurioses. Abgerundet wird jede Saison mit einer Statistikseite, bis auf wenige Saisons mit einem Mannschaftsfoto.

Wie viele Stunden hast du für die Recherche investiert? Wie lange hast du daran gearbeitet?
Das Buch hat mich von Dezember 2023 bis Ende April 2025 beschäftigt, im Rahmen einer Sechs-Tage-Woche mit mindestens zehn Stunden am Tag, abzüglich drei Wochen Urlaub und einer dreiwöchigen Krankheitspause. Meine Arbeit umfasste Recherche, Bildauswahl, 90 Prozent der Texte, Statistikerfassung, Leitung des Seitenumbruchs und Korrektorat sowie die Mitarbeit am Marketing, der Vorbereitung von Lesungen und Präsentationen.

Welche Quellen hast du genutzt?
Alle Osnabrücker Tageszeitungen, die Fachzeitschriften Kicker-Sportmagazin, Fußball-Woche, Sport Niedersachsen, Sport Illustrierte. Vereinsmitteilungen, frühere Jubiläumsschriften, Privatsammlungen. Nachschlagewerke des DSFS, Kicker-Almanach, Jahrbücher des Fußballs, Bücher über die Oberliga Nord, den DFB-Pokal, Lexika, zahlreiche Vereinschroniken, alle Bücher über den VfL Osnabrück. Vor allem mehrere Leitz-Ordner mit Dokumenten, Notizen, Akten etc. aus meiner Zeit als Reporter der Neuen Osnabrücker Zeitung. Dazu kamen die Informationen aus meinen aktuellen und früheren Gesprächen mit Zeitzeugen – Spieler, Fans, Vorständler, Manager, Trainer, Journalisten.

Wie hast du dich der damaligen Fankultur angenähert?
Sehr früh stand für mich fest, dass das Publikum und hier speziell die Fans eine große Rolle spielen sollten in diesem Buch – denn in allererster Linie für diese verschiedenen Generationen von Stadionbesuchern, Auswärtsfahrern und Mitgliedern macht man ein solches Buch. Zahlreiche Bilder zeigen deshalb Zuschauer und Fans aus allen Epochen, viele Fotos nehmen die Perspektive der Fans ein, es gibt Fotos von Fan-Aktionen, von Choreos und Pyro-Shows. In den Epochenkapiteln wird die Entwicklung der Fankultur ausführlich geschildert: Es wird erinnert an die ersten Fanclubs, an die Rolle der Fans bei der größten Vereinskrise Mitte der 1990er-Jahre und an die Anfänge der Pyro-Shows in der Ostkurve. Die Entstehung des Fanprojekts und seine Arbeit wird ebenso beschrieben wie die der Fanbeauftragten. Das soziale Engagement der aktuellen Fan-Generation mit der Auszeichnung durch den Julius-Hirsch-Preis als Höhepunkt bekommt seinen Platz, auch die Rolle der Ultras wird beleuchtet. Gespräche mit Fans der ersten Stunde, mit Fanvertretern, den Fanbeauftragten, den Mitarbeitern des Fanprojekts und mit der Fanabteilung waren die Basis.

Gibt es auch Lücken, die du gerne geschlossen hättest?
Ganz sicher. Die Aufarbeitung der Frühgeschichte, die der Stadthistoriker Heiko Schulze großartig gemeistert hat, ist optimal gelungen, doch der Mangel an Fotos, Material und Aufzeichnungen setzte selbst einem solchen Kenner der Osnabrücker Stadtgeschichte Grenzen. Das gilt auch für den VfL im Nationalsozialismus. Gestützt auf die Forschungsergebnisse der Fan-Initiative „Tradition lebt von Erinnerung“, die der Fanbeauftragte David Kreutzmann in das entsprechende Kapitel eingearbeitet hat, ist es gelungen, anhand der Geschichte der VfL-Kampfbahn im Stadtteil Gartlage die Verstrickung in die Gewaltherrschaft der Nazis darzustellen. Denn an Ort und Stelle des VfL-Stadions entstand während des Krieges ein Lager für Zwangsarbeiter, die dort unter Gewalt, Krankheit, Hunger und Ausbeutung lebten und zur Arbeit in Industriebetrieben gezwungen wurden. Gern hätte ich ausführlicher berichtet über die sportliche Vielfalt, die den Großverein VfL in den 50er und 60er Jahren ausgezeichnet hat. Der „Verein für Leibesübungen“ gehörte
im Schwimmen, im Basketball und im Tischtennis zur nationalen Spitzenklasse; Leichtathletik, Handball, Kunstschwimmen und Kanusport gehörten zum Angebot. Als letzter Hinweis und – nicht ganz ernst gemeinten Arbeitsauftrag an meine Freunde im DSFS – beklage ich das Fehlen einer Einsatz- und Torschützenstatistik der Gauliga-Epoche zwischen 1933 bis 1944.

Du sagst, du hast auch Kuriositäten gefunden. Kannst du Beispiele nennen?
Dutzende! Und noch so nette… Da fand in tiefer Nacht ein Wettrennen auf der Bremer Straße nahe der Bremer Brücke statt mit dem Ziel, den schnellsten VfL-Fußballer zu ermitteln. Dass Start und Ziel direkt am Vereinslokal „Zur dicken Eiche“ lagen, sagt alles über die Umstände des Wettbewerbs aus. Und dann war der noch ein temperamentvoller Spieler, der nach einem hektischen Spiel mit Rudelbildung inklusive Ordnern und Polizisten auf dem Platz eine Anklage wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt bekam. Wortreich beteuerte er vor dem Gericht seine Unschuld – bis ihm der Richter ein Pressefoto präsentierte, auf dem Tritt vor das Schienbein eines Polizisten beweiskräftig festgehalten worden war.

Wie ist aus deiner Sicht die Buchvorstellung gelaufen?
Das Buch wurde präsentiert am 16. April vor der Nordtribüne an der Bremer Brücke, vor 800 Zuschauern, die das Buch im Dezember quasi blind gekauft hatten: Um den Fans die Möglichkeit zu geben, das Buch Monate vor dem Erscheinen zu Weihnachten zu verschenken, wurde ein Gutschein verkauft, der die exklusive Einladung zu der Präsentation
beinhaltete. Diese 800 hielten das Buch als erste in der Hand. Auf der Bühne erzählten zehn legendäre VfLer von den guten alten Zeiten, Es war ein wunderbarer Abend, ich habe bis Mitternacht Bücher signiert.

Welches Feedback hast du von den VfL-Mitgliedern bekommen? Was wurde besonders gelobt?
Die Stimmung an diesem Abend und auch bei einer ähnlichen Veranstaltung im Hause der Neuen Osnabrücker Zeitung sowie Lesungen war die schönste Anerkennung, die ich mir als Autor wünschen kann. Das gilt auch für Wünsche um Signaturen und Widmungen, die mich mit vielen meiner Leserinnen und Leser in persönlichen Kontakt brachten. Und ich
würde lügen, wenn ich bestreiten würde, dass mich die guten Verkaufszahlen gefreut haben.

Wurde etwas Fehlendes bemängelt?

Bislang nicht, aber es sind natürlich die Hinweise auf die ersten Fehler eingegangen. Dass sich Fehler bei einem derartigen Projekt – trotz eines intensiven Korrektorats durch fünf Kenner – nicht vermeiden lassen, war mir klar. Bisher hält sich die Quote in Grenzen, was auch daran liegt, dass das Korrektoren-Team etwa 3.600 Fehler – vom Komma-Patzer über Zahlendreher bis zu falsch geschriebenen Namen – ausgebügelt hat.

Letzte Frage: Seit wann bist du im DSFS und in welchem Bereich engagierst du dich im Verein?
Ich bin Anfang der 80er Jahre eingetreten, weil ich als Reporter einen Bericht schreiben wollte über diesen seltsamen Verein, der seine Jahreshauptversammlung in Glandorf nahe Osnabrück abhielt. Die Menschen mit dem Statistik-Fimmel waren mir auf Anhieb sympathisch und so unterschrieb ich einen Mitgliedsantrag. Bis tief ins neue Jahrtausend war ich passiv, kaufte und nutzte aber etliche Bücher, die ich im Arbeitsalltag nutzte und auch bei den Buchtipps in der Neuen Osnabrücker Zeitung unseren Lesern vorstellte. Nur ab und zu war ich auf direkte Bitten in der Lage, durch die Nutzung unseres Archivs einen kleinen Beitrag zu leisten. Die Statistiken der Oberliga Nord, der Endrunden, der Regionalligen und der Aufstiegsrunden waren mir bei der Arbeit am Buch eine große Hilfe. Deshalb wird unser Verein in der Danksagung ausführlich erwähnt, in besonderer Weise Harald Igel und Ralf Hohmann. Vielleicht finde ich künftig etwas mehr Zeit, mich für den DSFS ein bisschen nützlich zu machen (Anmerkung: Ja bestimmt, schließlich ist das nächste Nordtreffen im Herbst in Osnabrück und Harald somit Gastgeber).

Foto: osnapix/Michael Titgemeyer